Bulgarien – faszinierendes und tragisches Land Georgi Markov – der ermordete Schriftsteller, der für die Freiheit starb

 

„Jetzt muss ich Sie das einfach fragen: Sind Sie Bulgarin? Sind Sie Anelija?“

 

Das wurde ich bei meinen bisherigen Vorstellungen des neuen Bulgarien-Romans (etwa anlässlich der Literaturpreisverleihung für einen Ausschnitt aus dem Buch)  öfter gefragt als sonst bei meinen Protagonistinnen.

Auf dieser Seite möchte ich gerne darstellen, wie ich zum Thema meines neuen Romans gekommen bin und welche historische Geschichte mich gefesselt hat.

 

 

Es war das Abschlussfest des „Hüttenbauprojektes“ meines Sohnes, als ich mich bewaffnet mit halbgaren Würstchen und etwas zu trinken neben einer mir weitläufig bekannten Mutter auf die Bierbank nahe am Lagerfeuer setzte. Ihren Mann kannte ich damals noch gar nicht. Doch was er mir, die immer wieder neugierig nachfragte, in den nächsten Stunden erzählte, ließ mich nicht mehr los.

Es war die Geschichte einer bulgarischen Kindheit.

 

Ich habe sie in meinem neuen Roman nacherzählt, doch nur im innersten Kern stimmt mein Roman mit der Geschichte überein, die ich am Lagerfeuer zu hören bekam. Die junge Mutter, die nach Deutschland geht, das Aufwachsen bei den Babas und die Flucht im Pflaumenlaster ist geblieben, die einzelnen Geschichten, Ausgestaltungen und Fortführungen jedoch entstammen meiner eigenen Phantasie, die nach diesem Abend mit Geschichten aus unzähligen Büchern über Bulgarien zur Nachkriegszeit gefüttert wurde. 

 

Aus dem Jungen wurde bei mir ein bulgarisches Mädchen. Und die Geschichte, die sich in mir entwickelte, mischte sich mit den Erinnerungen an eine Bulgarin - eine der wichtigsten Freundinnen, die ich in meinem Leben hatte, obwohl sie nicht weiß, dass sie dies war - und die mir verloren gegangen ist. So ist dieses Buch auch eine Hommage an eine verlorene Freundschaft - sei gegrüßt, K.!

 

Wichtig für die Geschichte ist natürlich Georgi Markow, der große bulgarische Schriftsteller, dessen mysteriöser Tod als „Regenschirmmord“ in die Geschichte eingegangen ist.

Georgi Markow wurde 1929 in Sofia geboren. Mit Romanen und Theaterstücken machte er sich bald einen Namen als Schriftsteller in Bulgarien. Seine Bücher wurden viel gelesen, seine Stücke auf den Bühnen Sofias und im ganzen Land aufgeführt. Der kommunistische Staatschef Todor Schiwkow sammelte damals gerne die sogenannte Intelligenzija um sich und auch er wurde auf den schnell aufsteigenden Markow aufmerksam. Schiwkow lud ihn zu den Treffen mit den größten Dichtern des Landes ein, er nahm ihn auf Ausflüge in die Berge und zur Jagd mit. Diese scheinbare Nähe zum Diktator war Georgi Markow von Anfang an eher unheimlich. Seine Texte blieben unterschwellig staatskritisch, obwohl man ihn darauf hinwies, dass er zu ‚unsozialistisch’ schreibe. Die Folge war, dass man plötzlich seine Stücke im ganzen Land absetzte. Sein Theater wurde nicht mehr gespielt, seine Bücher nicht mehr protegiert. Und es wurde Georgi Markow klar, dass er in diesem Land bald weder sprechen noch schreiben durfte. Auf Warnung seiner Freunde nahm er die letzte Gelegenheit wahr, zu der sein Reisepass als ehemals Begünstigter des Staates noch gültig war, und floh aus Bulgarien.

Nach seiner Emigration nach England kritisierte er aber weiterhin das kommunistische Regime und Todor Schiwkow über Radiosendungen bei der BBC und vor allem bei den Übertragungen von Radio Free Europe, die direkt nach Bulgarien gesendet wurden.

Mehrfach wurde er gewarnt, dass man versuche, ihn umzubringen. Doch Georgi Markow wollte nicht mehr leise sein, er sprach weiterhin wöchentlich über Radio Free Europe die Missstände in Bulgarien an.

Am 7. September 1978 stößt Georgi Markow auf der Waterloo Bridge in London mit einem Mann zusammen, er spürt einen Stich im Oberschenkel und sieht nur noch, wie der Unbekannte einen wohl herunter gefallenen Regenschirm wieder aufhebt und mit einem ‚Sorry’ davon eilt.

Vier Tage später stirbt Markow. Erst die Obduktion ergibt, dass man ihm eine kleine Kugel mit dem tödlichen Pflanzengift Rizin injiziert hatte.

 

Viele Jahre blieb sein Tod ungeklärt.

Erst einige Jahre später wurde enthüllt, dass der russische KGB den bulgarischen Staatssicherheitsdienst bei diesem Mord unterstützt hatte – ein besonderes ‚Geburtstagsgeschenk’ für Todor Schiwkow.

Der investigative bulgarische Journalist Hristo Hristov deckte in jahrelanger Recherchearbeit die Hintergründe und viele Details dieses unglaublichen Mordes auf. Und er nannte einen Agenten des bulgarischen Geheimdienstes, Francesco Gullino, als Tatverdächtigen.

 

Markows Lebensgeschichte und die Umstände des Mordes haben mich, wie viele andere auch, gefesselt. In meinem Buch erzähle ich seine Geschichte nach, ich habe sie zeitgenau und mit den echten Namen der handelnden Personen erzählt, auch wenn man sie für ausgedacht halten mag (der unglaublichste Agententhriller!). Bei der Nacherzählung von Markows Lebensgeschichte habe ich mich sehr nah an die bekannten Fakten gehalten, diese aber erzählerisch ausgestaltet. Auch die Namen der Beteiligten, der ‚Täter’ und ‚Mittäter’ in diesem historischen Ereignis sind korrekt benannt.

 

Die Parallelfigur der Anelija ist fiktiv! Während ich mit der Markow-Geschichte den (realen) historischen Hintergrund darstellen kann, steht Anelija exemplarisch als Beispiel eines Menschenschicksals in dieser Zeit.

Dass zwischen den beiden in meinem Roman eine Verbindung besteht, muss der Leser sich selbst erlesen ….

 

Mein Roman endet mit dem Glücksfall, dass ich kurz vor Abgabe des Buches noch eine neue Wendung im Mordfall Markow erfahren konnte.

Dem deutschen Regisseur Klaus Dexel ist es gelungen, den seit einem großen Verhör in Dänemark 1993 verschwundenenen Francesco Gullino alias „Agent Picadilly“ in Österreich aufzuspüren und zu interviewen. Aus der Suche nach den Hintergründen des Markow Attentats ist ein hervorragender, investigativer Dokumentarfilm entstanden: „Zum Schweigen gebracht.“

Zum Teil wörtlich habe ich das faszinierende Interview mit Gullino im Epilog verwendet.

(Dieser Film ist sowohl in deutscher wie in englischer Fassung („Silenced – the Writer Georgi Markov and the Umbrella-Murder“) über die e-mail Adresse klaus.dexel@dexeltv.de zu beziehen.)

 

Das Interview und was Gullino darin nicht sagt, hinterlässt die Idee, dass dieser Fall Georgi Markow noch lange nicht abgeschlossen sein sollte.

„Warum überhaupt sollte man die Wahrheit sagen? Wofür? Man lebt so gut mit Lügen. Oder damit, dass man gar nichts sagt.“ – Zitat Gullino im Interview mit Klaus Dexel.

Ich hoffe, dass mein Buch nicht das letzte über Georgi Markow ist. Ich möchte nicht schweigen und nicht mit Lügen leben!

 

Deswegen wollte ich nicht nur, ich musste dieses Buch schreiben!

 

 

                               

 

Für jene, die sich für Bulgarien oder die Markow-Geschichte interessieren, hier die wichtigsten Bücher, die meiner Phantasie Nahrung gaben:

 

Ulf Brunnbauer: Die sozialistische Lebensweise. Ideologie, Gesellschaft, Familie und Politik in Bulgarien (1944 – 1989). Wien: Böhlau, 2007.

Ulf Brunnbauer: Zwischen Amnesie und Nostalgie: Die Erinnerung an den Kommunismus in Südosteuropa. Wien: Böhlau, 2007.

Ulf Brunnbauer: Gebirgsgesellschaften auf dem Balkan. Wien: Böhlau, 2004.

Richard H. Cummings: Cold War Radio Broadcasting. Blog. (http://coldwarradios.blogspot.de/)

Dimitré Dinev: Engelszungen. Wien: Zsolnay, 2003.

Hristo Hristov: Kill the Wanderer.

Wladimir Kostov: Der bulgarische Regenschirm.. Wien-München: Jugend und Volk, 1987.

Wolfgang Leonhard: Die Revolution entlässt ihre Kinder. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2005.

Georgi Markow: Die Frauen von Warschau. Wieser Verlag, 2010.

Georgi Markov: Das Portrait meines Doppelgängers. Wieser Verlag, 2010.

Georgi Markov: Reportagen aus der Ferne. Wieser Verlag, 2014.

Georgi Markow: Salz der Erde, 1962.

Georgi Markov, Annabel Markov: The Truth that killed. London: Weidenfeld & Nicolson, 1983.

Mark Mazower: Der Balkan. Kleine Weltgeschichte. Berlin, Berliner Taschenbuch Verlag, 2002.

Ilija Trojanow: Die fingierte Revolution. Bulgarien, eine exemplarische Geschichte. München: Carl Hanser, 1999. (dtv 2011).

Rumjana Zacharieva: 7 Kilo Zeit. Bad Honnef: Horlemann, 1999, 2006.

Rumjana Zacharieva: Bärenfell. Bad Honnef: Horlemann, 1999.

 

 

Stefanie Gregg

 

 

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